Die
Arbeitsmarktgesetze Hartz I bis Hartz IV zeitigen Wirkungen / Eine Analyse von
Susanne Koch und Ulrich Walwei
Im
Frühjahr 2002 wurde die Hartz-Kommission von der Bundesregierung beauftragt,
Instrumente für eine neue Arbeitsmarktpolitik zu entwickeln. Ihre Vorschläge
wurden in vier Gesetze gegossen, deren letztes am 1. Januar 2005 in Kraft tritt.
Die beiden Autoren legen eine erste Einschätzung der Wirksamkeit der Reformen
vor.
Um der
Arbeitsmarktkrise in Deutschland entgegenzuwirken und insbesondere die
verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit aufzulösen, wurden mit dem Einsetzen der
Hartz-Kommission im Frühjahr 2002 umfangreiche Arbeitsmarktreformen initiiert.
In der Folge entstand ein "Gesamtpaket", zu dem die vier "Gesetze für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" und die Agenda 2010 ("Gesetz für Reformen am
Arbeitsmarkt") gehören. Die Reformen folgen dabei zwei Hauptlinien: Zum einen
sollen die Rahmenbedingungen für Beschäftigung gefördert werden. Dazu enthalten
die beschlossenen Neuerungen Elemente, um den Arbeitsmarkt durch eine
Deregulierung des Arbeitsrechts flexibler zu machen. Außerdem sollen die
Bedingungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze besonders bei den Mini- und
Midijobs verbessert werden.
Zum anderen wird durch die Reformen eine
Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik vorgenommen. Sie setzt künftig noch viel
stärker auf konsequente Aktivierung der Arbeitssuchenden. Dabei geht es im
Wesentlichen darum, dass Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und
Lohnersatzleistungen im Sinne eines Förderns und Forderns miteinander verknüpft
werden.
Zerstückelung
des Arbeitsmarktes
Bei der Förderung der Rahmenbedingungen für
Beschäftigung war ein Ansatzpunkt die Deregulierung des Arbeitsrechts, um
Neueinstellungen für die Betriebe attraktiver zu machen. So wurden durch "Hartz
I" die Beschränkungen für Leiharbeit weitestgehend aufgehoben und die
Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung Älterer ausgeweitet. Außerdem
erfolgte durch die Agenda 2010 eine Heraufsetzung des Schwellenwertes für die
Wirksamkeit des Kündigungsschutzes. Damit betreffen die Reformen so gut wie gar
nicht das so genannte "Normalarbeitsverhältnis", sondern in erster Linie die so
genannten "atypischen Erwerbsformen" oder nur bestimmte Bereiche der Wirtschaft.
Der wesentliche Effekt dieser marginalen Reformschritte dürfte in einer gewissen
Umverteilung der Beschäftigungschancen zugunsten von Erwerbslosen und bisher
Nicht-Erwerbstätigen liegen. Zudem gibt es ansatzweise Chancen für mehr
Beschäftigung - insbesondere durch einen Abbau vermeidbarer Überstunden.
Allerdings ist davon auszugehen, dass sich die Segmentation am Arbeitsmarkt
verstärkt.
Mehr Beschäftigung im Niedriglohnsektor soll u. a. dadurch
entstehen, dass durch das zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt die Verdienstgrenze bei der geringfügigen Beschäftigung (Minijobs)
von 325 auf 400 Euro erhöht wurde. Weiterhin wurde eine geringfügige
Beschäftigung im Nebenjob (neben einem sozialversicherungspflichtigen
Haupterwerb) wieder ermöglicht. Seit Einführung der neuen Regelung zeigt sich
bei den Minijobs eine starke Zunahme. Allerdings resultierte der größte Teil des
Zuwachses aus dem starken Anstieg der geringfügigen Beschäftigung im
Nebenjob.
Zwar sollen die Regelungen zur geringfügigen Beschäftigung den
Niedriglohnsektor fördern, jedoch bieten die Minijobs kaum Perspektiven für
Geringqualifizierte und andere Problemgruppen am Arbeitsmarkt. Denn die Minijobs
im Haupterwerb können vor allem als Zuverdienst im Haushaltskontext dienen, aber
kein Existenz sicherndes Arbeitseinkommen generieren.
Die wieder
eingeführte Sozialversicherungsfreiheit bei der ersten Nebenbeschäftigung
schafft Möglichkeiten zu einer individuellen Verlängerung der Arbeitszeit. Auch
besteht die Option, Beschäftigungsverhältnisse zu Lasten der Sozialversicherung
zu zerlegen: Allerdings setzt dies die Bereitschaft bei Arbeitgebern voraus,
Arbeitsplätze auf verschiedene Personen aufzuteilen.
Insgesamt
profitieren also von den Minijob-Regelungen in erster Linie Personen, die kein
Beschäftigungsproblem haben. Ein Abbau der Arbeitslosigkeit ist deshalb
unwahrscheinlich. Positiv zu vermerken ist, dass die Neuregelung zu einer
Legalisierung des Arbeitsvolumens beitragen kann, da in gewissem Umfang (z.B. im
Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen) vorher in Schwarzarbeit ausgeübte
Tätigkeiten angemeldet werden. Die zusätzliche in Köpfen gemessene Beschäftigung
wird sich aber dennoch eher in Grenzen halten. Für Problemgruppen am
Arbeitsmarkt könnten die Minijobs allenfalls eine Einstiegsposition in den
Arbeitsmarkt darstellen. Insbesondere vor dem Hintergrund der weiter gefassten
Zumutbarkeitskriterien im Sozialgesetzbuch (SGB) II dürfte dieser Weg in Zukunft
an Bedeutung gewinnen. Allerdings wird der Anreiz zur Aufnahme eines Mini-Jobs
durch die hohe Transferentzugsrate von 85 Prozent in diesem unteren
Einkommenssegment unnötig begrenzt.
Kein
Wunder
Die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik als zentraler
Bestandteil der Reformgesetze steht ganz im Zeichen der "Aktivierung" von
Arbeitssuchenden und Leistungsempfängern. Ein wichtiger Bestandteil war die
Reform der Bundesagentur für Arbeit und die Schaffung von mehr Wettbewerb durch
die Stärkung privater Arbeitsvermittler und eine aktivere Rolle der Kommunen.
Ziel ist dabei eine intensivere Betreuung der Arbeitslosen durch die verringerte
Fallzahlen für den einzelnen Arbeitsvermittler.
Ein weiterer
wichtiger Bestandteil der Reformen der Arbeitsmarktpolitik ist die konsequentere
Ausrichtung an der Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt. Hierzu wurden
mit dem ersten Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt auch neue
Instrumente eingeführt. Neu ist die organisierte Nutzung der Zeitarbeit zur
Vermittlung Arbeitsloser durch die Einführung von Personal-Service-Agenturen
(PSA) in jeder Agentur für Arbeit. Sie kann aber - anders als von der
Hartz-Kommission unterstellt - kein Wunder in Gang setzen. Der Bestand an
PSA-Beschäftigten bleibt aktuell deutlich hinter den ursprünglichen Zielvorgaben
zurück. Und den Sprung aus der PSA in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung haben bisher nur wenige geschafft.
Vereinfacht und
ausgeweitet wurde die Gewährung von Lohnsubventionen bei der Aufnahme einer
abhängigen Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt. Dies betrifft zum einen die
Eingliederungszuschüsse nach dem SGB III, zum anderen aber auch das
"Einstiegsgeld", das das neue SGB II vorsieht.
Die
Vorteile der Gründer
Erste Evaluationsergebnisse des IAB legen nahe,
dass Lohnsubventionen für Zielgruppen der Arbeitsförderung die
Wiedereingliederungschancen verbessern können. Der Erfolg dieses Instruments
muss aber vor allem daran gemessen werden, ob sich Arbeitnehmer durch die
Aufnahme einer niedrig entlohnten und anfangs "geförderten" Beschäftigung
möglichst dauerhaft vom Transferbezug befreien könnten. Dies setzt aber im
Verlauf Produktivitäts- und Einkommenssteigerungen (wie höhere Stundenlohnsätze
oder eine Ausweitung der Arbeitszeit) für die Betroffenen voraus. Die
anstehenden Evaluationen werden letztlich zeigen, ob dies für geförderte
Arbeitnehmer eine wirkliche Perspektive ist.
Und schließlich wurde die
Förderung von Existenzgründungen als zusätzlichem Weg aus der Arbeitslosigkeit
verstärkt. Neben dem bewährten Überbrückungsgeld können Arbeitslose nun auch den
"Existenzgründungszuschuss" zu Ich-AG bekommen. Damit wurden im Jahr 2003 fast
die Hälfte aller Existenzgründungen in Deutschland durch die Bundesagentur für
Arbeit gefördert. Gründungen aus Arbeitslosigkeit können in zweierlei Hinsicht
positiv wirken: Einerseits beenden die Gründerpersonen mit dem Schritt in die
Selbständigkeit ihre Arbeitslosigkeit und entlasten damit die
Arbeitslosenversicherung. Zum anderen können von den Neugründungen zusätzliche
Beschäftigungsimpulse ausgehen. Allerdings gilt dies nur, wenn die Gründung
dauerhaft Bestand hat.
Humankapital
gefragt
Nach einer Untersuchung des IAB zum Überbrückungsgeld sind
Gründungen umso eher erfolgreich, je höher das Humankapital des Gründers ist.
Daher stimmt bedenklich, dass nach ersten Analysen die Gründer einer "Ich-AG" im
Durchschnitt eine deutlich geringere Schul- und Berufsausbildung aufweisen als
die Bezieher von Überbrückungsgeld. Positive Beschäftigungseffekte auf der
gesamtwirtschaftlichen Ebene sind ohnehin nur dann zu erwarten, wenn die
geförderten Gründungen nicht andere Neugründungen bzw. bestehende Unternehmen
verdrängen.
Unverzichtbarer Bestandteil der "neuen" Arbeitsmarktpolitik
ist aber die konsequente Aktivierung. Hierzu enthielten bereits die
Hartz-Gesetze I bis III sowie das Gesetz "Reformen am Arbeitsmarkt" wichtige
Elemente. Hartz IV weitet dieses Prinzip in besonderen Maße auf
Langzeitarbeitslose aus. Es geht im Wesentlichen darum, dass die
Transferleistungen für den Personenkreis, der bisher Arbeitslosenhilfe bezogen
hat, nun in der Tendenz weniger großzügig ausfallen als vor der Reform. Dies
betrifft zum einen die Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld. Mit dem Gesetz zu
Reformen am Arbeitsmarkt wurde die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auf 12 bzw.
für ältere Arbeitslose auf 18 Monate reduziert. Zum anderen werden Arbeitslosen-
und Sozialhilfe durch Hartz IV zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt. Dadurch
werden die Transferleistungen für Langzeitarbeitslose im Durchschnitt reduziert.
Besonders betroffen sind hier allein stehende Arbeitslose, die vor der
Arbeitslosigkeit über ein relativ hohes Erwerbseinkommen verfügt
haben.
Empirischen Untersuchungen zufolge hat die Dauer des Bezugs von
Lohnersatzleistungen einen größeren Einfluss auf Höhe und Dauer der
Arbeitslosigkeit als das Niveau der Transferleistung. Dies ist besonders
relevant, da in Deutschland, die soziale Absicherung von Langzeitarbeitslosen
(vor den Hartz-Reformen) durch die lange Bezugsdauer von älteren Arbeitslose und
die bisher unbefristete Arbeitslosenhilfe relativ hoch ausfiel. Dagegen liegt
die Lohnersatzrate von Kurzfristarbeitslosen nicht über der vergleichbarer
Industrieländer.
Die Großzügigkeit der Transferleistungen wird neben Höhe
und Dauer aber auch durch Anwartschaftszeiten und Anspruchsvoraussetzungen wie
die Definition der für Arbeitslose "zumutbaren" Beschäftigung sowie die
Verfügbarkeit von Leistungsempfängern für den Arbeitsmarkt beeinflusst. Durch
die Hartz-Reformen wurden die Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose in dem
Sinne verschärft, dass ein Umzug nun früher zumutbar ist und die Beweislast für
versicherungswidriges Verhalten umgekehrt wurde. Aus arbeitsökonomischer Sicht
ist bei der Zumutbarkeit ein Zielkonflikt zu beachten. Wird den Erwerbslosen
hinsichtlich der Aufnahme von Beschäftigung vergleichsweise wenig "zugemutet",
ist für Arbeitslose der Druck geringer, Ausstiegsoptionen aus der
Arbeitslosigkeit wahrzunehmen. Dagegen erhöht sich der Druck auf Arbeitslose bei
Durchsetzung einer eher weit gefassten Zumutbarkeit, weil dann ein breiteres
Spektrum von Beschäftigungsmöglichkeiten in Frage kommt. Für eine Einmündung
ohne zu weitgehenden Qualifikationsschutz spricht, dass Arbeitslose negative
Signale auf Arbeitgeber befürchten müssen, wenn sie die Stellensuche aus
Langzeitarbeitslosigkeit bestreiten müssen.
Flexibilität
durch mehr Druck
Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene ist zu erwarten,
dass die konsequente Aktivierung zu einem Rückgang der Erwerbslosigkeit
beitragen. Hierzu gibt es fünf mögliche Ansatzpunkte:
Erstens: Durch die
strengeren Anspruchsvoraussetzungen könnten sich Leistungsempfänger mit geringer
Erwerbsneigung vom Arbeitsmarkt zurückziehen.
Zweitens: Weil durch die
Neuregelungen die Suchintensität und die Beschäftigungsfähigkeit von
Erwerbslosen positiv beeinflusst werden, bestehen zudem Chancen auf eine
zügigere Besetzung offener Stellen. Zudem könnten "aktivierte Bewerber"
betriebliche Aktivitätshemmnisse aufgrund von Besetzungsproblemen verringern
oder auch das deshalb erforderliche Überstundenvolumen zu
reduzieren.
Drittens: Die insgesamt weniger großzügigen
Transferleistungen werden die Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen insgesamt
erhöhen. Auf dem Arbeitsmarkt würde sich aber ein Zusatzeffekt nur dann
einstellen, wenn weder ein regionaler noch ein qualifikatorischer Mismatch
aufträte und Lohnanpassungsprozesse stattfinden (können). Letztere könnten
zunächst vor allem in den nicht tarifgebundenen Betrieben
greifen.
Viertens: Selbst wenn es dadurch noch nicht zu mehr
Beschäftigung käme, könnte die registrierte Arbeitslosigkeit dennoch sinken.
Denn "Aktivierte" könnten die Stille Reserve und andere Nicht-Erwerbstätige
zumindest teilweise zurückdrängen.
Fünftens: Weniger großzügige
Transferleistungen haben Minderausgaben des Staates zur Folge. Insbesondere wenn
der Staat im Sinne einer Umschichtung die eingesparten Mittel für produktive
Investitionen verwendet, wäre ein unter dem Strich positiver
Beschäftigungseffekt zu erwarten.
Insgesamt hat die Neuausrichtung der
Arbeitmarktpolitik einen großen Schritt in die richtige Richtung gebracht. Dies
gilt besonders deshalb, weil eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik (im Sinne
eines Förderns und Forderns) zum einen Druck in Richtung Flexibilität erzeugen
und zum anderen höhere individuelle Beschäftigungsrisiken durch passgenaue
Förderung flankieren kann.
Arbeitsmarktpolitik
ist nicht alles
Allerdings sollte man die Erwartungen an die
Beschäftigungswirksamkeit einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik auch nicht
überziehen. Arbeitsmarktpolitik kann zwar das Matching verbessern und die
Stellenbesetzung beschleunigen. Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen aber im
Wesentlichen in Unternehmen und setzen wirtschaftliche Dynamik, aber auch
passende Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt voraus. Vor allem die anhaltende
Wachstumsschwäche, zu wenig beschäftigungsfreundliche Tarifvereinbarungen, die
hohe Abgabenbelastung und die weitgehende Regulierung von Produkt- und
Arbeitsmärkten sind die Hauptursachen für die Beschäftigungsmisere hier zu
Lande. In diesen Bereichen ist anders als in der Arbeitsmarktpolitik der
Reformbedarf noch hoch.
Dossier:
Hartz IV - ein
Überblick